9.April - Dietrich Bonhoeffer

Strassenschild "Dietrich-Bonhoeffer-Strasse" und Plakat bei der Gedenkveranstaltung am 9.April 2015
Gedenkveranstaltung in Pankow, Bötzow-Viertel am 9. April 2015. Foto: Helga Karl

Am 9. April 1945 wurde der Ev. Pfarrer und Kämpfer gegen das verbrecherische deutsche Nazi-System Dietrich Bonhoeffer im bayerischen KZ Flossenbürg - JUSTIZMORD durch Nazi-Juristen - auf Befehl Hitlers ermordet.

Als Nachtrag: KZ Flossenbürg undZweite Schuld nach 1945

Zionskirche Berlin während des Gedenkens an Dietrich Bonhoeffer am 9.4.2015 mit Vortrag von Wolfgang Huber. Foto: Helga Karl
Zionskirche in Berlin. Hier war Dietrich Bonhoeffer 1932 Pfarrer. Foto: Helga Karl


Gedenken an Dietrich Bonhoeffer

In Berlin Prenzlauer Berg und im Zions-Kiez (Ortsteil Mitte) ehrten am 9. April 2015 in drei Veranstaltungen viele Menschen und u.a. die Ev. Kirche, Vertreter des Bezirks Pankow, VVN und die Bürgerinitiative ProKiez Bötzowviertel Bonhoeffer: In der Ev. Zionskirche war Bonhoeffer Pfarrer, er  wohnte in der Oderberger Str. 61. Im Bötzowviertel trägt eine Strasse Bonhoeffers Namen.

Ein Mann mit Plakat über den Justizmord an Dietrich Bonhoeffer durch Nazi-Richter, durch ein Schandurteil des Bundesgerichtshof 1956 "legitimiert". Foto: Helga Karl
Der Justiz-Mord an Dietrich Bonhoeffer durch Nazi-Richter wurde 1956 in der Bundesrepublik Deutschland durch ein Schandurteil "legitimiert". Foto bei der Gedenk-Veranstaltung an der Dietrich-Bonhoeffer-Strasse am 9.4.2015: Helga Karl
 In der Ev. ZION-Kirche hält am 9.4.2015 Prof. Dr. Wolfgang Huber, früher ev. Bischof, einen Vortrag über Dietrich Bonhoeffer.  Foto: Helga Karl
In der Ev. ZION-Kirche nennt am 9.4.2015 Prof. Dr. Wolfgang Huber, früher ev. Bischof, in seiner Rede über Dietrich Bonhoeffer dessen Ermordung Justizmord durch Nazi-Richter. Foto: Helga Karl

Am Wohnhaus von Bonhoeffer in der Oderberger Str. 61 wurde bei einer Feier zum Gedenken an Bonhoeffer am 9.4.2015 eine Gedenktafel enthüllt.



Gedenken im Kiez: Dietrich Bonhoeffer Strasse im Bötzowviertel

Ein alter Mann mit Blumen dabei, Gedenkveranstaltung  Bonhoeffer-Strasse am 9.April. Foto: Helga Karl
Sie haben Blumen mitgebracht: Gedenken an Dietrich Bonhoeffer. Foto: Helga Karl
Blumen an den Pfosten der Bonhoeffer-Strasse zum Gedenken. Foto: Helga Karl
Nachdenken anregen durch Blumen: Bonhoefferstrasse. Foto: Helga Karl
Pfarrer Nils Huchthausen (Redner)  und Organisatoren des Bonhoeffer-Gedenkens am 9.April 2015. Foto: Helga Karl
Pfarrer Nils Huchthausen und Organisatoren des Bonhoeffer-Gedenkens am 9.April 2015. Foto: Helga Karl
Dietrich Bonhoeffer Strasse-Ecke Bötzowstrasse, Blumen am Pfosten des Strassenschild zu Ehren von Bonhoeffer am 9.April. Foto: Helga Karl
Blumen erinnern an Dietrich Bonhoeffer am Jahrestag seiner Ermordung durch Nazi-"Richter". Foto: Helga Karl

Fotos: Helga Karl am 9.April 2015

Wir wollen, dass die Menschen sich erinnern. Wir wollen sie zum Nachdenken bringen. Darum bringen wir beim Gedenken Blumen mit und binden sie wie in der Dietrich Bonhoeffer-Strasse am Pfosten mit dem Strassenschild an. So erklärte in einer kurzen Rede die Vorsitzende von VVN Prenzlauer Berg (VVN Vereinigung der Verfolgten des Naziregime), warum viele mit Blumen zum Gedenken an den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer am 9.April  kamen.

"Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott." - Dietrich Bonhoeffer kurz vor 20.Juli 1944

Als Bonhoeffer das in einem Gedicht schrieb, war er Gefangener im Tegeler Militärgefängnis, seit dem 5. April 1943 inhaftiert, gleichzeitig mit seinem Schwager Hans von Dohnanyi verhaftet wegen "Wehrkraftzersetzung". 

 

Der Ev Pfarrer Nils Huchthausen ließ in seiner Rede zum Gedenken an den Glaubenszeugen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer diesen selbst zu Wort kommen: "Wer bin ich?  Sie sagen mir oft, ich spräche mit meinen Bewachern frei und freundlich und klar, als hätte ich zu gebieten? (...) Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?

Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?

Foto von Pfarrer Dietrich Bonhoeffer in der Zionskirche in Berlin. Foto: Helga Karl
Dietrich Bonhoeffer, Bild in der Zionskirche in Berlin

Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig, ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle, hungernd nach Farben, nach Vogelstimmen, dürstend nach guten Worten (...)

..ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne, müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen, matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen? (...)

Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer, das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?"

 

Dietrich Bonhoeffer hat wie sehr wenige Christen früh und in klaren Worten gegen die Judenverfolgung protestiert und Schutz für Juden gefordert, den Führerkult Hitler kritisiert.


Gedenktafel am Wohnhaus von Bonhoeffer Oderbergerstr. 61

Am 9. April 2015 wurde bei einer Veranstaltung der Ev. Kirche, Ev. Kirchengemeinde am Weinberg (Zionskirche in Berlin-Mitte), Vertretern des Bezirks Pankow und Gästen zu Ehren Dietrich Bonhoeffer eine Gedenktafel an dem Haus enthüllt, in dem er 1932 - damals Pfarrer in der Zionskirche - wohnte.

Gedenktafel am Haus Oderberger Strasse 61 in Berlin, in dem Dietrich Bonhoeffer 1932 wohnte, enthüllt 9.4.2015. Foto: Helga Karl
Gedenktafel am Haus Oderberger Strasse 61 in Berlin, in dem Dietrich Bonhoeffer 1932 wohnte, enthüllt 9.4.2015

In diesem Haus wohnte von
Januar bis März 1932 Pfarrer

Dietrich Bonhoeffer

(*4.2.1906 -  + 9.4.1945)

Bonhoeffer unterrichtete seit November 1931 eine Konfirmandengruppe in der Zionskirche. Um  seinen Konfirmanden nahe zu sein, die zum Großteil in Armut und Verwahrlosung lebten, zog er bewusst aus der Villenkolonie im Grunewald in dieses Arbeiterviertel. Er verbrachte hier viel Zeit mit seinen Konfirmanden, bewirtete sie und hielt auch später Kontakt zu einigen von ihnen.

Wegen seines Widerstandes gegen den Nationalsozialismus wurde Dietrich Bonhoeffer nach zweijähriger Haft am 9. April 1945 auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers im KZ Flossenbürg hingerichtet. Von den 47 Jungen, die Bonhoeffer am 6. März 1932 konformierte, haben mindestens 24 den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt

Menschen vor dem Haus Oderbergerstr. 61 bei der Feier zur Enthüllung der Gedenktafel an Dietrich Bonhoeffer. Foto: Helga Karl
Menschen vor dem Haus Oderbergerstr. 61 bei der Feier zur Enthüllung der Gedenktafel an Dietrich Bonhoeffer. Foto: Helga Karl

Der namentliche Dank an viele, die ermöglicht haben, dass diese Gedenktafel an den Vertreter des BESSEREN DEUTSCHLAND Dietrich Bonhoeffer mit diesem Text erinnert, zeigt, wie wenig selbstverständlich es ist, dass es solche wichtigen Orte gemeinsamen Erinnerns und Gedenkens gibt.

Möge eintreffen, was die Pankower Bezirksstadträtin bei dem Festakt wünschte und ankündigte:

Dass Schulklassen in Pankow diesen Ort der Erinnerung besuchen, zugleich Gedenken an alle wegen ihres Widerstands gegen die NS-Herrschaft Verfolgten und Opfer der Nazi-Herrschaft.


Pfarrer Bonhoeffer und "seine" Arbeiterkinder in der Zionskirche

Zionskirche am 9.April 2015, beim Vortrag von Wolfgang Huber über Dietrich Bonhoeffer. Foto: Helga Karl
Zionskirche am 9.April 2015 während der Rede Wolfgang Huber über Dietrich Bonhoeffer. Foto: Helga Karl
Gedenktafel an der Zionskirchen an Pastor Dietrich Bonhoeffer. Foto: Helga Karl
Gedenktafel an der Zionskirchen an Pastor Dietrich Bonhoeffer. Foto: Helga Karl

Die Zionskirche gehört zur

Ev. Kirchengemeinde "Am Weinberg" in  Berlin-Mitte.

Bonhoeffer-Denkmal vor der Zionskirche (steht auch in Breslau). Foto: Helga Karl
Bonhoeffer-Denkmal vor der Zionskirche (steht auch in Breslau). Foto: Helga Karl

Zur Ev. Kirchengemeinde "Am Weinberg" gehört auch die Sophienkirche in Ostberlin. Hier hat der Pfarrer, Widerstandskämpfer gegen den Rassismus in den USA Martin Luther King gepredigt.

Einen Bericht über diese historische Predigt des in USA ermordeten Friedensnobelpreisträgers Martin Luther King vor über 50 Jahren  in Westberlin und Ostberlin (DDR) finden Sie bei Kieznetzwerk Berlin.

In welche Richtung geht es zur Zionskirche? Das fragten mich mehrere Teilnehmer an der Gedenkveranstaltung vor dem Haus, in dem Bonhoeffer einst gewohnt hat. Eine Frau kam aus Zehlendorf, die Einladung hatte sie in ihrer Ev. Kirchengemeinde erhalten. Den Weg, den wir an diesem 9. April gemeinsam zu Fuß gingen, ist vor Jahrzehnten oft Pfarrer Bonhoeffer gegangen, zwischen der Zionskirche und seiner Wohnung. Die Zionskirche war voll besetzt,  Wolfang Thierse war gekommen, zur DDR-Zeit bis heute  am Kollwitzplatz wohnend, der erste Ostdeutsche in einem obersten Verfassungsorgan als Bundestagspräsident. Prof. Dr. Wolfgang Huber, bis zur Emeritierung 2009 Ev. Bischof in Berlin und Ratsvorsitzender der Ev. Kirche in Deutschland, hielt bei der Gedenkveranstaltung in der vollen Zionskirche den Vortrag zu Bonhoeffer:

Du sollst nicht töten - Bonhoeffers Friedensethik heute

Aus den "Konfirmanden-Rebellen" wurde eine verschworene Gemeinschaft, so Wolfgang Huber über die Arbeit von Dietrich Bonhoeffer als Pfarrer in der Zionskirche. Heute ist das Viertel eine "gehobene" Gegend an der Grenze Prenzlauer Berg - Mitte. Mit zahlreichen guten Lokalen, die Bewohner haben nach 1989 überwiegend gewechselt, wie die Kirchengemeinde aus Erfahrung weiß.

 

In jener Zeit war das ein Arbeiterviertel, die Väter von Bonhoeffers Konfirmanden waren oft oder meist arbeitslos. Dass Pfarrer Bonhoeffer aus wohlhabendem Elternhaus "seinen Konfirmanden" zum Essen gab und sie materiell unterstützte, war wohl damals wie heute keine Selbstverständlichkeit.  In der Kirchengemeinde  und Kirchenzeitung der Zionskirche "lebt" Dietrich Bonhoeffer. "Lieber Dietrich" ist die Anrede. Gemeindemitglieder fragen, was heute wohl Pfarrer Bonhoeffer dazu sagen würde. Für heutige Konfirmanden ist er ein Vorbild - im Glauben und als Mensch, in seinem Leben eine Einheit.

Bonhoeffers Theologie ist kein "VOM Pazifismus ZUM Widerstand", betonte Prof. Wolfgang Huber, langjähriger Bischof. Der Widerstand ist immer als Möglichkeit enthalten, die Tat gegen brutale Gewaltherrschaft mit dem Ziel, den Frieden zu erreichen.

 

Dietrich Bonhoeffer: "..dem Rad in die Speichen fallen"

Bereits Anfang 1933 nahm Bonhoeffer in seltener Klarheit gegen den Nationalsozialismus öffentlich Stellung, eine grundsätzliche folgenreiche Positionierung (Zitat von Dietrich Bonhoeffer nach Wikipedia)


„1. Die Kirche hat den Staat zu fragen, ob sein Handeln von ihm als legitim staatliches Handeln verantwortet werden könne …

2. Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören …

3. Wenn die Kirche den Staat ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.“

Seitenansicht: Bonhoeffer-Denkmal vor der Evangelischen Zionskirche Berlin. Foto: Helga Karl
Bonhoeffer-Denkmal vor der Evangelischen Zionskirche Berlin. Foto: Helga Karl

"Dem Rad in die Speichen fallen" - diese Entscheidung zum Widerstand gegen das verbrecherische deutsche Nazi-Gewalt-System hat Pfarrer Dietrich Bonhoeffer individuell für sich getroffen.

Er hat viel versucht, er war jedoch sogar in der Ev. "Bekennenden Kirche" allein mit seinem  Willen zum aktiven Widerstand. "Als die Nazis mich holten, war niemand mehr da, der protestieren konnte" , um es mit den Worten des Ev. Pastors Martin Niemöller zu sagen. Niemöller hat das KZ überlebt.

 

Zionskirche mit Altar und Kreuz, Wolfgang Huber bei seinem Vortrag am 9. April 2015 zum Gedenken an Dietrich Bonhoeffer. Foto: Helga Karl
Wolfgang Huber bei seiner Rede über Dietrich Bonhoeffer in der Zionskirche. Foto: Helga Karl

Dietrich Bonhoeffer ist ein Theologe mit weitreichender Wirkung in der Evangelischen Kirche, auch wenn er nach 1945 lange  totgeschwiegen, umschwiegen worden ist.

Zum 100.ten Geburtstag von Bonhoeffer hat die EKD auf ihrer Homepage eine Übersicht von Schriften, Predigten, Links, Filmen und Biographisches über Bonhoeffer veröffentlicht.

Im Christentum wurde die Theologie Bonhoeffers gerade in Lateinamerika (Theologie der Armen, Theologie der Befreiung) und beim Kampf gegen die Apartheid (Südafrika) bzw. Rassismus in den USA aufgenommen.

 

Dietrich Bonhoeffer, Widerstandskämpfer gegen die Nazi-Gewaltherrschaft aus dem Glauben heraus und als Mensch, genießt hohe Anerkennung und großen Respekt weit über die Ev.Kirche und das Christentum hinaus.

Für manche Christen ist er ein Märtyrer,  für noch mehr Menschen ein Vorbild. Dietrich Bonhoeffer ist Repräsentant des BESSEREN DEUTSCHLAND.



Mit Dank für die Erlaubnis zum Fotografieren, auch in der Zionskirche und Pfarrer Nils Huchthausen für die Überlassung seines Redemanuskripts, aus dem ich  zitiere. Helga Karl

 

Text und Fotos: Helga Karl                                                                          9. und 10. April 2015              KNB     KNBerlin


Justizmord durch Nazi-Juristen und die zweite Schuld nach 1945

Justizmord nannte Alt-Bischof Wolfgang Huber sehr deutlich in der Zionskirche die Verurteilung Bonhoeffers zum Tod durch Erhängen auf Befehl Hitlers, sachlich richtig, wie vor ihm schon andere.

 

"Vor der Aufgabe, dies (Justizmord; H.K.) klar festzustellen, versagte die deutsche Justiz bei einem Marsch durch alle Instanzen. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 1956 beendete die ohnehin zaghaften Versuche, die NS Justiz kritisch aufzuarbeiten. Die „Bewältigung“ dieser Vergangenheit war mit der Integration der NS-Richterschaft in das bundesrepublikanische Rechtssystem zum Abschluss gekommen; Richter zur Rechenschaft zu ziehen, die an Rechtsbeugung und Justizmord beteiligt waren, passte nicht mehr ins Bild" - so Wolfgang Huber, ich zitiere aus seiner von ihm inzwischen veröffentlichten Rede (Seite 4/5) in der Zionskirche am 9.April 2015.

 

Die Frage zu stellen liegt nahe: War dieses Schandurteil von 1956 vorsätzliche Rechtsbeugung durch Nazi-Richter in höchsten Richterfunktionen der Bundesrepublik Deutschland?

Zum umfassenden Schutz von Nazi-Richtern nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland?

Diese Frage stell(t)e ich mir selbst nach folgender Aussage von Günter Hirsch, Präsident des Bundesgerichtshofs 2002 (zitiert im Wikipedia-Beitrag über den ebenfalls hingerichteten Schwager von Bonhoeffer http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_von_Dohnanyi)

 

„Für dieses Urteil“ (aus dem Jahr 1956) „des Bundesgerichtshofs, an dem im übrigen ein Richter mitgewirkt hat, der im Dritten Reich Beisitzer eines Sondergerichts und später Oberkriegsgerichtsrat war, muß man sich schämen“.. und „Die Täter wurden letztendlich durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs 1956 von diesem Justizmord freigesprochen mit einer Begründung, die zur Folge hatte, daß kein einziger der Richter, die während der Nazi-Herrschaft 50.000 Todesurteile gefällt hatten, zur Rechenschaft gezogen wurde.“[

 

Zornig setzte sich Alt-Bischof Wolfgang Huber ausserdem mit der unkritisch-vielzitierten (fand ich öfter) Beschreibung des zuständigen KZ-Arztes im KZ Flossenbürg auseinander, nennt diese Beschönigung DREIST (das Zitat entnehme ich seiner im Internet veröffentlichen Rede ):


"Immer wieder werden die Sätze zitiert, mit denen der zuständige KZ-Arzt Bonhoeffers Tod später schilderte. (...)  Auch ein weiteres  kurzes Gebet erwähnt er, nach dem Bonhoeffer „dann mutig und gefasst die Treppe zum Galgen“ beschritt. „Der Tod erfolgte nach wenigen Sekunden.“ (...)

Einen Galgen gab es aller Wahrscheinlichkeit nach im KZ Flossenbürg nicht; es führte auch keine Treppe zu ihm. Ähnlich wie in Berlin-Plötzensee, wo viele Verschwörer des 20. Juli 1944 ums Leben kamen, muss man eher mit einem Haken an einem aus der Wand herausragenden Balken rechnen, in den die Hinrichtungsstricke eingehängt wurden. Die Stiege, auf der die Verurteilten nackt ihre letzten Schritte zurückzulegen hatten, kann man sich kaum provisorisch genug vorstellen. Dass der Tod innerhalb von Sekunden eintrat, klingt wenig wahrscheinlich; denn die Haken gaben nach, der Todeskampf konnte längere Zeit dauern. Kein Wunder, dass die fünf Hinrichtungen eine ganze Stunde in Anspruch nahmen. Ein grausames Sterben war es, das auf einen Justizmord folgte."

 

Die Beschreibung von Wolfgang Huber ist realistisch und DREIST sind die einlullenden Sätze des KZ-Arztes, etwas für sehr Leichtgläubige. Das  folgende Zitat ist aus dem Wikipedia-Artikel über Wilhelm Canaris, der wie Dietrich Bonhoeffer und weitere im KZ Flossenbürg - ein Justizmord durch Nazi-Richter - auf Befehl Hitlers "verurteilt" und kurz danach erhängt worden ist.

 

"Canaris, Bonhoeffer, Gehre, Oster, Sack und Theodor Strünck mussten sich wenig später nackt ausziehen und wurden gehängt. Ein SS-Mann sagte später als Zeuge:

„Bei dem kleinen Admiral hat es sehr lange gedauert. Er ist ein paar Mal rauf und runter gezogen worden.“

Die Toten wurden im Krematorium verbrannt und deren Asche verstreut."


Gedenken im KZ Flossenbürg 27.4.2015

Das KZ Flossenbürg liegt in Bayern, in der Oberpfalz, das ist und bleibt meine Heimat durch Herkunft.

Ich bin in der Nachkriegszeit geboren. Von alldem haben wir - ich jedenfalls - in der Schule nie etwas gehört. In der DGB-Jugend war ich als Studentin beim Aufbau der Jugendarbeit ehrenamtlich  aktiv, bayernweit und in Regensburg (dort lehrte Prof. Ratzinger, ich wohnte zeitweise in derselben kleinen Gemeinde am Rande von Regensburg wie er). Die DGB-Jugend hat das KZ Dachau und das KZ Flossenbürg besucht, das damals keine ausgebaute Gedenkstätte war.

 

2015 hat sich im zeitlichen Vergleich viel verändert. Zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Flossenbürg durch US-Soldaten am Montag 23.April 1945 (ein "kleines" KZ im Vergleich mit Vernichtungslagern wie Auschwitz, mit zahlreichen Aussenstellen) kam Ministerpräsident Horst Seehofer. Und vor allem fünf noch lebende Überlebende dieses KZ.

Mindestens zwei ganzseitige Berichte (die ich kenne)  mit Fotos gab es darüber in der regionalen Mittelbayerischen Zeitung. Das hätte ich mir vor Jahrzehnten in meiner bayerischen Heimat nicht vorstellen können. Die Überschriften sind:

 

"Ein Ort, der in die Knie zwingt"

"Befreiung war wie ein neues Leben"

 

Ein Teil der Bevölkerung im Ort Stamsried (beim KZ) hat versucht, Häftlingen zu helfen, hat ihnen am Strassenrand Milch, Brot und Kartoffeln gegeben, hat es versucht unter Gefahr für sich selbst. Darüber berichtete der Bürgermeister. - Auf der "Ostmarkstrasse", so nannte man in meiner Jugend die "Rennstrecke" der langen fast leeren gut ausgebauten Strasse entlang der Grenze zur CSSR, waren die Todesmärsche der KZ-Häftlinge.

Am Kriegsende: über meine Mutter und Franz von Hammerstein

Persönliche Erinnerungen sind legitim in einem solchen Moment. Ich dachte beim Lesen der beiden großen Artikel in der "Mittelbayerischen Zeitung" über die Gedenkveranstaltung anlässlich der Befreiung des KZ Flossenbürg in meiner bayerischen Heimat an Erzählungen über jene Zeit, meine Gespräche mit zwei recht unterschiedlichen Menschen, die beide nicht mehr leben.

 

Der eine Mensch war meine Mutter, katholisch, Bauerntochter, während der Nazi-Zeit eine Jugendliche. Sie hatte eine Freundin in Hamburg mit Namen Melissa. Ihr Foto ist im Familienalbum, eine schöne junge Frau mit gewellten Haaren. Melissa kam auf den Bauernhof bei einer "Landverschickung", später ist sie im Feuersturm in Hamburg gestorben. Melissa hatte einen Bruder, auch sein Foto ist im Familienalbum, ein gut aussehender junger Mann in Uniform.

Der Bruder hat sich, als seine Einheit in Bayern war, zu dem abgelegenen Bauernhof durchgeschlagen, auf dem meiner Mutter arbeitete und lebte. Vertrauend auf die Berichte seiner - zu der Zeit wahrscheinlich bereits toten - Schwester.

Der junge Soldat wurde auf dem Hof versteckt und hat das Kriegsende überlebt.

Meine Mutter war Nazi-Gegnerin.

 

Der zweite Mensch ist Franz von Hammerstein, Evangelischer Theologe in Berlin, wie Dietrich Bonhoeffer. Franz von Hammerstein war zusammen mit seiner Mutter und Schwester im KZ, Sippenhaft. Seine beiden älteren Brüder waren untergetaucht, im Widerstand, sie gehörten zum engeren Kreis des Widerstands 20.Juli 1944. Seine Brüder überlebten, weil sie von mutigen anständigen Menschen versteckt worden sind. Das bedeutete in der Nazi-Zeit Lebensgefahr. - Franz von Hammerstein hat erzählt, wie sie sich bei den Todesmärschen der Bevölkerung "verständlich" zu machen versuchten, "WIR sind die GUTEN". Auch er hat praktische Hilfe aus der Bevölkerung erfahren. Er hatte viel Glück, das brauchte man damals zum Überleben, sagte er mir.

 

Franz von Hammerstein, konfirmiert in Berlin von Pastor Martin Niemöller, hat nach 1945 Ev. Theologie studiert, immer der Ökumene und Aussöhnung mit dem Judentum verpflichtet und mit den osteuropäischen Völkern, Polen, mit den Völker der Sowjetunion. Er hat maßgeblich "Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste" mitgegründet und im persönlichen Gespräch mit Chruschtschow (er kämpfte sich zu ihm durch, als dieser in Ostberlin war) von diesem die erbetene Erlaubnis erhalten, dass deutsche Jugendliche die Gräber der von Deutschen, von deutschen Nazis Ermordeten pflegen dürfen, in den KZs in Polen und in der Sowjetunion. Sühne. Friedensdienst.

 

"Mit Fingern haben sie auf uns gezeigt, als wir zurück kamen", erzählte mir ein Mann, der einer der ersten Jugendlichen war, der durch Aktion Sühnezeichen in Osteuropa Sühne/Friedensdienst leistete.

Die Westberliner. Unser Gespräch fand in der Landesvertretung Niedersachsens beim Bund statt (Berlin), anläßlich einer Festveranstaltung zur Einweihung eines "Hauses der Begegnung" von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste in Israel. Ich fragte am Infotisch von Aktion Sühnezeichen: Ist auch Hammerstein hier? Der Mann brachte mich sofort zu ihm, Franz von Hammerstein saß rechts vorne. Das war mein letztes Gespräch mit Franz von Hammerstein vor seinem Tod.


Von Helga Karl                                     Ergänzung eingestellt  am 5. Mai 2015          KNB         KNBerlin

Letzte Aktualisierung am 6.Mai 2015


Über Nazi-Juristen im Justizsystem der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 und die "Schwierigkeiten mit der Wahrheit" in Ost UND West nach 1945 siehe bei kieznetzwerk-berlin


http://www.kieznetzwerk-berlin.de/2015/10/03/
dank-an-gregor-gysi-für-seine-historische-leistung/


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